Rehageflüster: Gruppentherapie und Salsa

der heutige tag war, sagen wir mal, ereignisreich. mit lustigem, nachdenklichen, aber auch traurigem. es gab heute einen moment, in dem ich mit einem dicken halstuch (wegen halsschmerzen), mit einer dicken kühlkompresse am unterarm (wegen bogenschießen, dazu später) und einem kloß im hals auf dem bett saß und mir selber leid tat. nachdem ich meinem mann mein leid am telefon geklagt hatte, musste ich darüber gott-sei-dank lachen.

ich war heute morgen das erste mal richtig bogenschießen. unsere gruppenleiterin war regelrecht panisch, die gruppe alleine zum übungsplatz vorgehen zu lassen und ließ uns keinen augenblick aus den augen. nachdem ich die sofort einsetzenden, wilden aktivitäten der gruppenteilnehmer sah, wusste ich warum. nach der stunde lebten wir alle noch, wie durch ein wunder. ich habe insgesamt 9 pfeile geschossen. 1 pfeil traf ins rote *stolz guck*. der rest verschwand im wald und musste mühsam gesucht werden. ein pfeil schoß wie ein verirrter feuerwerkskörper von dannen und ist schuld an meinem beachtlichen hämatom am linken unterarm. immerhin habe ich es nicht, wie meine schieß-nachbarin, geschafft, einen der robusten aluminiumpfeile kaputt zu schießen.

insgesamt bin ich für das bogenschießen deutlich begabter als für salsa. das habe ich nämlich gestern abend probiert, als ich dachte, dann doch etwas tun zu müssen. ich habe vor jahren mal einen salsa-workshop in einer ferienanlage gemacht und den club-animateur zur verzweiflung getrieben. ich sag nur: null taktgefühl, zu große füße, zu kleine schritte, blöder club-animateur. der war sowieso nur scharf auf ein dickbusiges blondie aus schweden und hatte keinen nerv für die restlichen spasten aus der gruppe.

gestern also salsa-workshop in der reha. das ist ein ähnliches phänomen wie singen in der reha. ich war guten willens. ich schwör. aber mit schuhgröße 41 kann man diese kleinen schritte nicht machen. das geht nicht. und als es dann darum ging, verschiedene schrittkombinationen zu vereinen, dachte ich düsteren herzens an meine zeit als völlig unbegabte, 10-jährige ballett-elfe. ich musste bei meiner ersten und letzten ballettaufführung im theater einen der sieben zwerge tanzen und mit einem mit-zwerg schneewitchen im spagat auf der schulter auf der bühne herumtragen. ich war ein sehr, sehr langer und sehr, sehr dünner zwerg. schneewittchen hingegen war ein doppelwhopper. ratzfatz rutschte sie mir von der schulter und krachte auf die bühne. meine dürre, biestige ballettlehrerin brüllte mich hinter der bühne an wie eine irre und danach hatte ich mit ballett abgeschlossen. manche traumata überwindet man nie. jedenfalls mussten wir gestern paarweise im kreis herumtanzen und ich war der mann und musste heidi durch die gegend schieben und dabei glücklich aussehen. das hat so gar nicht geklappt. hab mich mit heidi sogar in die wolle gekriegt. ich.hasse.salsa. und habe mit dem thema jetzt auch abgeschlossen.

heute war meine erste visite. die ärztin meinte, sie würde mich gerne 1 woche länger hier behalten und nachdem ich vor lauter schreck zunächst nein sagte, entschied ich mich kurze zeit später doch dafür. ich glaube, das wird mir gut tun.

heute war aber nicht nur mein erstes mal bogenschießen, sondern auch meine erste onkologische gesprächsrunde. ich wollte mich drumherum drücken, der arzt hier hat mich dazu aber „verdonnert“. die runde war überraschend gut, was sicher auch an dem sympathischen psychologen lag. die runde war aber hart. nicht nur, weil ich dann wider erwarten doch heulen musste wie ein wasserfall, als ich meine geschichte erzählen sollte. sondern vor allem deswegen, weil es so schmerzhaft war, die geschichte der anderen frauen zu hören. einigen geht es so beschissen, dass es einem den hals zuschnürt. krebs ist schrecklich. er reißt einen mitten aus dem leben, unerwartet und brutal. und dann findet man sich plötzlich in einer situation wieder, in der man ums überleben kämpft und darum ringt, irgendwie wieder ins leben zurückzufinden. seinen platz wieder einzunehmen. wieder froh zu werden. weiterzuleben. zu überleben.

am ende der sitzung fragte uns der psychologe, wie wir unsere stimmung auf einer skala von 0-100 einschätzen würden. diejenige aus der gruppe, die es am schlimmsten von allen getroffen hat, sagte lächelnd: „100 %“. das sind sie momente, die einen aus den schuhen hauen. hut ab vor allen, die diese und andere schwere erkrankungen durchstehen und ihre positive lebenseinstellung nicht verlieren. so bewusst wie heute war mir das noch nie.

20 Gedanken zu „Rehageflüster: Gruppentherapie und Salsa

  1. Na, meine Gnädigste, dass sind ja ganze schöne Sinuskurven, die du gefühlsmäßig in den ersten paar Tagen hier hinlegst! Eine gute Idee, die Kur um eine Woche zu verlängern, damit du dich wieder einpendelst, finde ich. Probiers mal mit Qi Gong statt Salsa. Dein Problem ist übrigens, dass du die Salsa nicht „gedanct“ hast. So erfuhren wir es Woche für Woche von einer Kollegin, bis sie an einer harmlosen Treppe scheiterte und jetzt nicht mehr dancen geht (jedenfalls vorerst). 🙂
    Die Grösse der Füsse spielt übrigens KEINE Rolle beim Tanzen, ich muss dich enttäuschen. Aber als Zwerg mit Moppelwittchen hätte ich dich gerne gesehen…..du erwägst nicht zufällig, die Aufführung nochmal zu wiederholen? Retro ist doch in…….bitte, bitte!!!!
    Drück dir die Daumen, dass der Arm bald wieder gut ist und du auch die onkologischen Gesprächsrunden ohne Tränen hinter dich bringst. Da muss ich dich mal ganz schnell feste drücken.
    Alles Liebe Brigitte

    • liebe brigitte, du bist süß ♥

      mal sehen, wie es mir hier nach 3 wochen geht. vielleicht bin ich ja dann soweit, dass ich spontan den „zwerg“ mime 😉

      und die füße spielen DOCH ne rolle *trotzig guck*

      alles liebe von sinuswolf

      • Maximal die beiden Linken……Füsse, natürlich 🙂
        Ich sage nur: 10 Jahre Welttanzprogramm *überlegen schau*
        Aber ich bin heute eh selbstherrlich drauf: habe es geschafft, eine automatische Weiterleitung vom zentralen Mailserver auf drei andere Server einzurichten. Da staunte die junge Kollegin…….
        Regnerische Grüsse B.

  2. Liebelein, du erlebst aber auch jede Menge. Wenn ich deinen Alltag lese, dann denke ich, das kann man doch alles an einem Tag gar nicht schaffen. Aber es sind ja kleine Ausschnitte im Zeitraffer. Die Woche wird dir sicher gut tun. Wirst sehen.
    Laß mal alles auf dich zukommen.

    Viele liebe Grüße, Emily

    • liebe emily, du weißt ja, wie das mit der geduld ist: „lieber gott, bitte schenk mir geduld. JETZT!“

      aber nützt ja nichts, heute steht wegen meiner halsschmerzen nach wie vor nur relax auf dem programm und dann füg ich mich mal. ooohhhhhm. gibt ne richtig gute bibliothek hier und hab jetzt auch paar nette weiber getroffen.

      alles liebe, katerwolf

  3. Ich liebe Deine Berichte und Dein Sprache.

    Sich einfach mal unverhofft in Tränen aufzulösen kann auch gut tun.
    Zur Verlängerung kann ich nur gratulieren, weiß ich doch, wie schwer es manch eine hat, üüüüberhaupt erst mal in den Genuß einer Reha zu kommen.
    Das war sicher eine gute Entscheidung und Du wirst die letzte Woche sicher noch bewußter geniessen können.

    Immerhin mußtest Du Heidi nur schieben und nicht auf der Schulter rumtragen, die soll sich mal nicht so anstellen. Ein Sturz von der Schulter beim Zwergentheater, wäre für sie anders ausgegangen als ein paar fast nicht sichtbare Salsa-Fehlschritte Deinerseits.

    Ich wünsche Dir eine weiterhin wunderbare Zeit

    lieben gruss sue

    • liebe sue, danke dir, du süße ♥

      ich bin auch richtig froh über die verlängerung, zumal ich heute immer noch ganz schön angeschlagen bin und die füße stillhalten muss.

      alles liebe dir, deine katerwolf

  4. Alles Gute zur Verlängerung und schön,das du …nette Weiber… kennengelernt hast. Ist doch viel entspannter, als wenn du permanent die Heidi durch die Gegend schieben müßtest…(mir gerade bildlich vorstelle).
    Schöne Grüße von der stürmischen Ostsee

  5. liebe katerwolf,

    die extrawoche tut dir sicher gut, bin froh, dass du dich dafür entschieden hast!

    vor so einer gesprächsrunde habe ich riesenangst… 😦 ich denk mal, dass das sehr anstrengend ist…ja, und die geschichten der anderen zu hören, kostet nochmal extra kraft. also die extrawoche brauchst du vermutlich schon allein deswegen! 😉

    knuddler,
    sunny

  6. Deine Tage kommen mir genauso vor, wie unsere im Urlaub. Auf der Überfahrt von Exeter nach Plymouth haben wir Stationen gemacht, dann bei der Weiterfahrt von Plymouth nach Truro. So kommt einem der Tag in mehreren Berichten sagenhaft lang vor. Manche meinen vermutlich, es sei eine ganze Woche, lach.
    ok, ich glaub, Salsa ist wohl auch nix für mich. Und Bogenschießen, das ist doch richtig anstrengend, nicht wahr?
    Hoffentlich gehts deinem Arm wieder besser…
    Aber dieses Erzählen, dass das unter die Haut geht, das ist nur zuuuu verständlich.
    Ganz liebe Grüße

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